"Wer mein Kämpferherz und meine Leidenschaft für die Faszination Dreiradsport kennt, ahnt wie schwer mir diese Entscheidung fällt.."

Hans-Peter Durst sagt nein zu Tokio Paralympics in Tokio 2021

 Gold Durst - ohne Kirschblütentraum 202ONE

"Wer mein Kämpferherz und meine Leidenschaft für die Faszination Dreiradsport kennt, ahnt wie schwer mir diese Entscheidung fällt – meine persönliche Entscheidung gegen eine Teilnahme an den Sommer Paralympics in Tokio 2021."

Als amtierender Weltmeister ist dies auch kein Rücktritt vom aktiven Leistungssport – es ist mein bewusster Weg.

In vielen Gesprächen, Telefonaten und Sitzungen haben mein ParaSportSupport Team und ich die „pro / contra“ Argumente erarbeitet, abgewogen und nun aus innerer Überzeugung entschieden.

Paracycling - Hans-Peter Durst ©Falko Wübbeke

Seit den Goldenen Momenten bei den Paralympischen Spielen in Rio 2016 haben wir im Team auf die 3. Teilnahme konzentriert hingearbeitet, in 2018 und 2019 mit einigen gesundheitlichen Rückschlägen, 3 Operationen – aber das Ziel wurde nie aus den Augen verloren – die gesundheitsbedingte Nicht-Teilnahme an den Paracycling Weltmeisterschaften 2018 schmerzte – ermöglichte mir aber als interessierter Zuschauer vor Ort im italienischen Maniago erstmals einen ganz anderen Einblick in unseren Sport – die Freude über die gezeigten Leistungen meiner Sportkameraden aus der ganzen Welt war Balsam auf meiner Sportlerseele und Motivation gleichzeitig für die WM-en 2019 im niederländischen Emmen – der 9. Weltmeistertitel zeigte allen Zauderern, dass unser Team auf dem richtigen Weg ist.

So stellten sich für mich auch die Teamgeist Kriterien als höchste Hürden im Entscheidungsfindungs-Prozess dar.

5 intensive Jahre gemeinsam im ParaSportSupport Team um Erfolgstrainer Robert Pawlowsky, mit Dipl.-Psychologin und Mentalcoach Grit Moschke, Fitnesstrainer Andrej Dejn, dem ganzheitlichen Physiotherapieplan bei Tesfaldet Zemichael, ausgewogener Ernährungsberatung durch Sabine Andreas und last but not least mit meiner Mobilitätsheldin und seit 36 Jahre die Frau an meiner Seite Ulrike Durst.

5 Jahre überwiegend freudorientierte Radsportarbeit – am Ende ohne die erhoffte Belohnung – und das meine ich auch ganz bewusst monetär – keine Trainerprämien – keine geteilte Teilnehmerprämie.

5 Jahre sportspezifische Partnerschaft an, mit und durch die beiden Olympiastützpunkte NRW Rheinland in Köln und Westfalen in Dortmund – zu jeder Zeit ein offenes Ohr, zielführende Diagnostik, sportmedizinische Begleitung – immer die richtigen Antworten und wirklich im besten Sinne des Wortes Teamspirit – am Ende ohne die erhoffte Belohnung.

5 Jahre im Team Deutschland Paralympics – zielorientierte Verbandsarbeit – umfassende Organisation – aktive Medienbegleitung durch die zentralen Stellen und deren so motivierenden Mitarbeiter:Innen beim Deutschen Behindertensportverband – am Ende ohne die erhoffte Belohnung.

Siegerfreude - Hans-Peter Durst

5 Jahre zielführende Förderung und immer sehr persönliche Begleitung durch die Deutsche Sporthilfe und das Bundesministerium für Verteidigung – Spitzensport Bundeswehr – am Ende ohne die erhoffte Belohnung.

5 Jahre im Paracycling Team Germany – der Radsportnationalmannschaft für Athleten mit Behinderungen – entgegengebrachtes Vertrauen und vielseitige Unterstützung durch die Bundestrainer Patrick Kromer bis Ende 2018 und Tobias Bachsteffel ab 1.1. 2019 und deren Teams – mittendrin mein Entdecker und Edelhelfer Hermann Frey – immer großartige physiotherapeutische und medizinische Betreuung in den Trainingslagern, Lehrgängen und bei Wettkämpfen – und am Ende ohne die erhoffte Belohnung.

5 Jahre im Team mit meinen Partnern und Förderern – ohne die ich den Sport als reiner Amateur zu keiner Zeit hätte betreiben können – radsportspezifisches Material, Mobilität, Trainingslager, Radsportkleidung, Radsporthelme und bestes Material für erfolgreiche Durchsicht – am Ende ohne die erhoffte Belohnung.

5 Jahre anfeuernde, motivierende und doch immer wieder „vernachlässigte“ Freunde, Familie und Begleiter – am Ende ohne die gemeinsam erhoffte Freude und Belohnung vor Ort am Fuji Circuit.

Bei Allen bitte ich in persönlichen Gesprächen um Verständnis, wo es bereits geschehen ist danke ich für das entgegengebrachte Mitfühlen

Hans-Peter Durst - Paracycling

Die Absage meiner Teilnahme an den Paralympics in Tokio 2021 – das Ende des Dortmunder Projektes „Konnichiwa Tokyo 2020 – Machikirenai !!!“ mit Schirmherr OB a.D. Ullrich Sierau basiert auf meiner festen Überzeugung – Weltspiele des Sports, olympisch oder paralympisch leben vom Miteinander der Athleten, vom internationalen fairen Messen der Leistungen, vom interaktiven Austausch der Fans, Sportler vor Ort mit den Gastgebern.
Es sollen fröhliche gemeinsame Tage sein, es geht nicht ausschließlich um Höher, Weiter, Schneller – das olympische Motto „dabei sein ist großartig“ sollte das Credo sein.
An 3 Gründen versuche ich meine persönliche Absage zu erläutern

ZUNÄCHST DIE GESUNDHEIT, UNSER HÖCHSTES GUT.

Ein Großteil Japans lebt seit Monaten unter Notstandsverordnungen, nachhaltig steigende Infektionszahlen, überfüllten Intensivstationen, über die Grenzen belasteten Kliniken.
Trotz dieser mehr als angespannten Lage verlangt das IOC und das OK zur Durchführung der Spiele mehr als 10.000 !!! medizinische Mitarbeiter – Krankenpfleger – Sport-Ärzte – medizinische Fachkräfte. Dazu wertvolle Ressourcen wie medizinische Geräte und Einrichtungen.
Die eingehende Petition „Sagen Sie die Olympischen Spiele (und die Paralympics) ab, um unser Leben zu schützen“ wurde in wenigen Tagen von nahezu 500.000 Menschen unterzeichnet.

Die Krankenhausärzte vor Ort klagen, dass wiederholt Menschen zu Hause starben, während sie auf Krankenhausbetten warteten, das Gesundheitssystem sei aktuell völlig überlastet.

Hinzu kommt, dass bisher lediglich 2 % der japanischen Bevölkerung gegen das Coronavirus geimpft sind.

So wurde der ursprünglich bis 11. Mai terminierte Lockdown zunächst verlängert auf den 31. Mai 2021, Japans Premierminister Yoshihide Suga erklärte erstmals diese Woche, dass er zu keinem Zeitpunkt die Sommerspiele an erster Stelle gehabt hätte, Priorität sei immer, die Gesundheit und das Leben der japanischen Bevölkerung zu schützen.

Die Friedenssymbolik vor den Spielen, der historische Fackellauf fällt zu großen Teilen aus, aus Angst und Verantwortung in den jeweiligen Städten.

Dazu kommen die wirklichen Katastrophen in Ländern wie Indien, Nepal, Afrika – immer neue Mutanten erschweren den nachhaltigen Rückgang der Infektionszahlen und somit auch der vielen toten Menschen.

RESPEKT VOR DEM GASTGEBERLAND

Mehrere seriöse Umfragen in Japan kamen zum Ergebnis, dass die große Mehrheit (rund 80%) der Bevölkerung große Sportfreunde sind, aber aus Angst vor weiteren Folgen wie einem neuerlichen Anstieg der Infektionen, weiteren Lockdown- und Notstandsmaßnahmen und anderer Folgen für eine Absage der Olympischen Spiele und den Paralympics ist.

Eine Petition, wie oben bereits erwähnt ist ebenfalls unmissverständlich für die Absage der Spiele, es ist aktuell nicht die Zeit für solch ein Großereignis in Japan.
Der deutsche und europäische Ethikrat rät aus diesen und anderen Gründen zu einer Absage.

Frau Prof. Dr. Buyx erläutert, dass wir weltweit in der schlimmsten Welle der Pandemie stecken, immer neue Virusmutanten machen selbst die Sicherheit „Impfung“ zur wagen Hoffnung. Hinzu kommt, dass die Priorisierung der potentiellen Teilnehmer der Weltspiele mehr als kritisch zu bewerten ist.
Die Impfziele sind nach wie vor weltweit eindeutig gesundheitsorientiert und auf die Pandemie und das Aufrechterhalten unseres Lebens gerichtet. Dass es Athleten gibt, die ein Leben lang für die Teilnahme an Olympischen Spielen oder den Paralympics trainiert haben, ist in diesem Zusammenhang leider noch völlig unerheblich.

Da sind alle Ereignisse, die internationales Reisen anregen wirklich schwierig.
Die Lage in Japan ist mehr als besorgniserregend – ein Ende leider nicht in Sicht – das Virus wütet weiter, ungebremst und mit voller Wucht.

Ich möchte den Willen der japanischen Bevölkerung respektieren.

EIN KLEINES ZEICHEN DER SOLIDARITÄT

Als Sportler bin ich ebenso Mensch.
Viele meiner Freunde, guten Bekannten, auch internationale Partner und Förderer kämpfen in dieser Pandemie zunehmend mit ihren oft seit Generationen aufgebauten Existenzen.

Gastronomen, Hoteliers, Getränkelieferanten – Künstler, Kleinkunst, Theater – Sportevent-Veranstalter, Agenturen, Messebauer.

Milliarden von Steuergeldern in Form von Auffangschirmen werden aufgebracht – da ist mir nicht nach fröhlichen Spielen ohne meine Familie, ohne meine Freunde, ohne die mich immer begleitenden Partner und Förderer – die gebuchten Flüge, Hotels und Besichtigungen sind bereits komplett storniert.

Kirchen bleiben geschlossen, Schulen und Kindergärten öffnen und schließen wieder in unregelmäßigem Rhythmus.

Meine Sportkameraden*innen der Bundeswehr wurden und werden weiterhin entsandt für Einsätze in Corona-Brennpunkten – unter Einsatz ihres Lebens und ihrer Gesundheit – aktuell in Indien, vorab in Portugal.

Fazit

Als erfolgreichster Paracycler (Radsportler mit Behinderungen) des vergangenen Jahrzehntes (2011 – 2020) und erfolgreichster Einzelathlet der Sommer-Paralympics im Team Deutschland Paralympics lebte ich den Traum für Tokyo 2020, seit vergangenem März für Tokyo 202ONE.

In Abwägung der Argumente für und gegen meine persönliche Teilnahme, nach intensiven Gesprächen mit den Verantwortlichen in meinem Paracycling Team Germany und vielen guten Gesprächen mit mir sehr wichtigen Menschen aus Sport, Kirche, Freundeskreis, Athleten-Vertretung und Politik sind meine Familie zu der Entscheidung gekommen – ich werde nicht aktiv an den Paralympics in Tokio 2021 teilnehmen.

Die langjährige Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag, Bundestagsabgeordnete Dagmar Freitag (SPD) erklärte, dass es schlichtweg verantwortungslos sei, an den Olympischen Spielen (und den Paralympics) in Tokio in diesem Jahr festzuhalten.

Paracycling - Hans-Peter Durst ©Falko Wübbeke

Viele aktive und ehemalige Athleten drücken sich noch deutlicher aus, von „Sportler für Schaulaufen von Sponsoren verkauft“, „nicht bereit, für eine Kommerz-Medaille meine Gesundheit aufs Spiel zu setzen“ bis hin zu „Olympia entfernt sich durch das Festhalten an den Spielen immer mehr von den Idealen der Sportler und des Sports an sich“.

Meinem ParaSportSupport-Team und mir wäre es natürlich viel lieber gewesen, wenn uns diese schwere Entscheidung abgenommen worden wäre – mehr Transparenz und Ehrlichkeit in der Sportpolitik hätten sicher sehr geholfen.

Am Ende ist ausschlaggebend, dass die gesundheitliche und gesellschaftspolitische Situation eine Teilnahme für mich nicht möglich macht.

Sie passt nicht in mein Lebensmodell und nicht zu meinen christlichen Werten – aktuell sind andere Aufgaben gefragt, vor Ort und für das Gemeinwohl.

Der Sprecher von Global Athlet, Rob Koehler erklärte, es ist Zeit Haltung zu zeigen.

Ich möchte nicht in unsachliche Diskussionen geraten, schon beim eben offiziell durch den Verband DBS abgesagten Paracycling Weltcup in Oostende/Belgien wurden Stimmen im Team laut „wer erfolgreich sein möchte im Sport muss auch zu einem gewissen Maß bereit sein, Risiken auf sich zu nehmen“ – dem widerspreche ich energisch, die Gesundheit der teilnehmenden Athleten, der uns begleitenden Betreuer und Verantwortlichen muss an erster Stelle stehen.

Warum die Absage zu diesem Zeitpunkt, warum nicht noch ein wenig die weitere Entwicklung abwarten.

Als fairer Teamplayer finde ich das Datum 100 Tage vor unserer Eröffnungsfeier in Tokio richtig – so gebe ich meinem Bundestrainer und der Nominierungskommission im Leistungssportausschuss des DBS die Gelegenheit, meinen Startplatz mit einem anderen aussichtsreichen Medaillenkandidaten zu besetzen – wenn es nach mir geht natürlich sehr gerne mit meinem Freund und Dreiradsport-Kollege Maximilian Jäger – amtierender Deutscher Meister und Vizeweltmeister auf der Straße und im Einzelzeitfahren seit 2019.

Vielleicht kann ich als aktuell ältester aktiver Athlet im Team Deutschland Paralympics durch diese bewusste Entscheidung gegen die Teilnahme an den Weltspielen für Menschen mit Behinderungen in Tokio 2021 ein wenig Mut machen – in persönlichen Gesprächen äußern sich viele Sportler und Trainer zunehmend skeptisch, getrauen sich aber wegen eventueller Konsequenzen nicht diesen schweren Schritt einer persönlichen Absage zu gehen.

So sage ich Danke für unglaublich intensive 5 Jahre im Projekt „Konnichiwa Tokyo 2020 – Machikirenai!!!“ – gerne wäre ich im Team Deutschland Paralympics zu weiteren Goldenen Momenten im Land der Kirschblüten aktiv gewesen, in meiner Faszination Sport für Menschen mit Behinderungen.

Es ist kein Rücktritt vom Leistungssport – meine Vorbereitungen für die anstehenden Paracycling Europameisterschaften in Oberösterreich und die Weltmeisterschaften in Portugal im Juni laufen coronagerecht mit viel zielführendem Training am Heimatort in und um Dortmund – und wer weiß, in 3 Jahren finden die Paralympics in der Stadt der Liebe statt – Paris 2024 verbunden mit der Hoffnung, dass die Welt Corona und die Pandemie gesundheitlich und ökonomisch überstanden hat.

Signatur Hans-Peter Durst
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